Altersunterschied

Was mir Dr. Sommer nicht erzählt hat…

Eine Kolumne von Jona Wildwux

Regelmäßig beschäftigt sich ein volles Herz und ein kritischer Verstand mit den Fragen und Antworten des Lebens, innerhalb eines queeren Kontextes in einer patriarchalen Gesellschaft, in der die Akzeptanz von Diversität jedoch langsam auch im Mainstream ankommt. Eigene Erfahrungen werden sich beim Lesen wiederspiegeln und das kollektive Bewusstsein darf sich angestuppst fühlen- knippst die imaginären Leselampen an!  

Es freut sich, eure Jona Wildwux

Diversität. Ein Thema geboren aus dieser Zeit. Ich find’s toll! Befreiend! Vor allem unbedingt notwendig! Ich bin dankbar, dass die Generation Y und Z sich gegen die starren, vorgefertigten Bilder und Vorstellungen in Sachen Sexualität, Beziehung und „Mann“/“Frau“-Sein wehrt und selbst kreativ und aktiv wird. 

Als ich meinen jetzigen Partner kennenlernte, war er 24, ich 35. Er hat mich von sich beeindruckt, während er eine Fernbeziehung mit seinem Partner und eine polyamore mit seiner Freundin führte. Ich befand mich noch in einer offenen Beziehung mit dem Vater meines Kindes und meine Sehnsucht nach einer Frau an meiner Seite, hatte gerade einen Höhepunkt erreicht! Sex mit einem Jüngeren, …ja! Hatte ich bis dato schon öfter. Beziehung? Konnte ich mir nicht vorstellen. Neben anderen durchaus ernstzunehmenden Gedanken kroch mein Minderwertigkeitskomplex an die Oberfläche und begann, sich auszubreiten. Wie ein Teufelchen saß er auf meiner Schulter und säuselte lähmende, vermeintliche Gewissheiten. Das ist ein Thema für sich, was einen eigenen Artikel füllen würde. Hier soll es nun aber darum nicht gehen. 

Heute sind mein Freund und ich glücklich in einer festen und offenen Partnerschaft. Sex ist eines unserer Lieblingsbeschäftigungen. Mein Freund wohnt in einer WG. Die Türen schließen kaum, der Boden knarzt, die Wände mehr ein Sicht- als Lärmschutz. Schön, studentisch, hip, charmant mit alternativem Öko-Flair. I like. Die Mitbewohner*innen gendern, führen Diskussionen über Sexismus, Feminismus, Rassismus und halten eine generelle Aufmerksamkeit gegenüber diesen Themen sehr hoch. Eine unbedacht schepse Aussage würde entwurzelt und seziert werden, um sie dem*der Absender*in neu gegliedert und frisch gedüngt zurück auf die Zunge zu legen und sie*ihn mit einem „SO MUSST DU DAS!“ zu entlassen. (scheps: schief, verzogen) 

Eines schönen Tages erzählt mir mein Freund von einer kleinen Unterredung mit einer Mitbewohnerin. Dabei ließ sie einen Satz fallen, der seine Wirkung erst langsam entfalten sollte. „Ah. Wirst du dann von deiner “Sugar-Mama” chauffiert!?” 

Ich war perplex. Langsam, über Tage, wurden wir wütend. 

Konnte es sein, dass wir nicht akzeptiert waren? Oder sogar nicht respektiert? Gleichberechtigung, Andersartigkeit und sexuelle Freiheit, … waren das nicht die Attribute, die den Inhalt der Gesprächsthemen in dieser WG ausmachten? Und wenn ich davon ausgehe, dass eine jede Gemeinschaft auch ein Spiegel der Gesellschaft ist, wie dachten dann wohl die Leute da draußen über uns? Als pansexuelle und aufgeschlossene Menschen, die eine feste offene Beziehung führen, konnten wir uns also sicher sein einen Platz im Diversity-Pool einzunehmen. Mit Altersunterschied über 10 Jahre jedoch nicht? 

Als ob ich nicht genug Arbeit damit habe, meine unliebsame innere Stimme der „Moral“ zu behandeln, um immer wieder ein zuversichtliches und selbstbewusstes Lebensgefühl in diese meine neue Beziehungssituation zu bringen. 

Ich denke ich möchte sagen: Das Feld des Respekts ist groß und weit. Und so tief, dass es sich lohnt immer wieder aufs Neue zu prüfen, ob der innere Moralapostel nicht doch irgendwo einen unbewussten Schatten wirft. Niemand sollte jemals damit aufhören. Die Prägungen, unter denen wir aufwuchsen, wiegen schwer. Wir sollten uns und Anderen verzeihen, wenn man mal nicht alles „auf dem „Schirm“ hat. Stellung zu beziehen, gendergerechte Sprache zu kultivieren und Alarm zu schlagen wenn hinter diesem und jenem vernommenem Satz ein versteckter rassistischer Gedanke des zweifelhaften oder unwissenden Gegenübers wohnen könnte, ist notwendig. Und doch nicht genug. Respekt und Akzeptanz sollte vielleicht genau da ansetzen, wo einem der Zugang fehlt, das Verständnis oder die Erfahrung. Ist das nicht die große Herausforderung?