Bisexuell und unsichtbar

Was mir Dr. Sommer nicht erzählt hat…

Eine Kolumne von Jona Wildwux

Ich sitze vor einem hippen Café unserer Stadt, fingere mir noch eine Kippe zusammen und blinzle durch die hohen Scheiben auf die Menschen dahinter. Ich nehme einen aufgeweckten Blick wahr und weiß, es ist schon jemand da. Ich möchte hier ein Treffen besuchen, dass sich über eine Telegram-Gruppe organisiert hat. Wir wollen uns zusammentun, um uns durch entstehenden Austausch nicht mehr so allein zu fühlen. Was sind wir 4, die sich dort am Ende einfinden, mutig und etwas nervös, sich völlig fremd? Bisexuell!

Wie kommt das? Bisexuell und allein. Das Highlight jeder cis- heteronormativen Party: zwei lasziv knutschende Frauen, die offen genug wirken um die Phantasie der männlichen Belegschaft auf die Vorstellung auszuweiten, auch ihre Zunge in einen der zwei Hälse versenken zu können. Ist man eine davon, sollte das Leben doch bunt, lustvoll und offenherzig Funken sprühen. Umgeben von Menschen, die einen täglich zur Fähigkeit auf mindestens zwei Geschlechter gleichzeitig zu stehen gratulieren und sich reihenweise anbieten.

Ich war in meiner Jugend oft genug eines dieser Mädchen. Am Ende fühlte ich mich nicht nur allein, ich war es auch. Wenn überhaupt, erklärten mir die Frauen wie bereichernd es für sie war, diese Erfahrung gemacht zu haben. Jetzt wüsste man, wie es sich für einen Mann anfühlt von einer Frau geküsst zu werden. Autsch! Oder wie toll es war auszubrechen und mal was ganz Verrücktes zu machen! Knirsch! Oder „hach“, diese Männer „hihi“, wie cool dafür gesorgt zu haben, dass die sich auch mal amüsieren können. Und die so? „Hey mega! Du! Sag mal! Du! Ich! Und noch ‘ne heiße Ische! Wie wärs? Sah ganz schön geil aus! Kannst mir nachher ma ‘ne Privatvorstellung geben, hehe?“

Kennt ihr das, wenn der Lärm um euch herum zu einem wabernden Echo wird und in der Brust ein Vakuum der Leere entsteht? Dann wisst ihr auch wie schwer es manchmal ist, an einem Abend als junger Mensch voller Erwartungen und Sehnsüchte, darum zu kämpfen nicht zu vergessen, wer man ist und dass man das selbe Recht auf Liebe und sexuelle Erfüllung hat wie jede*r andere der*die nicht rein zu passen scheint. Ich hab es oft jahrelang vergessen. Habe mich von der Leichtigkeit des Gewohnten treiben lassen, sprich, ich war ausschließlich mit Männern in Beziehungen.

Vor ca. 1 Jahr stieß ich bei „auf Klo“ auf einen Ausdruck, der mich wie eine traurig schniefende Offenbarung traf: „Femme Invisibility“.

Ja,… was ist das, „Femme Invisibility“? Es bezeichnet die Unsichtbarkeit einer lesbischen Person in einer nach Stereotypen beurteilenden Gesellschaft. Eine Lesbe hat sich demnach eher burschikos zu verhalten und auszusehen, meist mit kurzen Haaren, weiter Kleidung, die an männlicher Mode orientiert ist und Merkmalen wie einrasierter Augenbraue oder dem obligatorischen Ring am Daumen. Eine lesbische Person, die sich feminin gibt und kleidet, bleibt somit unerkannt. Auch von potentiellen Liebhaber*innen oder Partner*innen. Und sie ist auch unsichtbar für die offensichtliche lesbische Szene, für die deren Zugehörigkeit nicht eindeutig, von queeren Frauen aber oft gesucht ist.

Nun ist dieser Begriff umstritten. Die einen sagen. „ist es nicht Ziel dieser Gesellschaft, dass non-Heteros nicht mehr auffallen (müssen)? Sollten wir nicht alles als normal empfinden anstatt wieder eine Diskriminierungsdebatte zu entfachen, die Menschen sichtbar machen soll, denen es offensichtlich nur an Selbstbewusstsein mangelt?“

Die Andern meinen: „Wir müssen uns verbiegen, um sichtbar zu werden, wir fühlen uns von dieser Gesellschaft nicht ernst genommen.“ Für mich hat dieses Thema etwas gemein mit meiner Situation als bisexuelle Frau, die zwischen „femme“ und „androgyn“ wandelt. Bin ich auf Partys unterwegs, befinde ich mich unter einer Masse von Heteros, werde von Heteros angeflirtet und wenn ich mich selbst traue, habe ich einen Hetero angesprochen. Sogar auf Tuntenbällen ist es mir nicht anders ergangen. Mein Menschenverstand sagt mir jedoch „das ist nur Pech! Halte es nicht für ein unumstößliches Urteil!“

Ich muss mir vielleicht bewusst machen, dass ich nicht in Berlin lebe. Auch nicht in Leipzig. Auch nicht in einer WG mit viel Durchlauf. Ich führe auch keinen Alltag mit fidelen Grillabenden, unvorhersehbaren Zusammenkünften oder erlebe jährlich einen Sommer voller Festivals. All das kommt mal vor, nicht mehr. Nein. Ich lebe allein, mein Sohn zur Hälfte bei mir, in einer offenen Beziehung mit noch unausgelebter Poly-Fähigkeit, davor habe ich über ein Jahrzehnt Familie gelebt, ich arbeite, studiere, schreibe, versuche Sport und Natur einzubetten. Mir bleibt ein Radius zwischen Arbeitsstellen, Boulderhallen und Ausflugszielen, meinem Zuhause und dem meiner Freund*innen. Und ab und an ‘ne Party, ein bisschen Kultur und essen gehen.

Da bekommen Dating- Plattformen für Queers plötzlich Bedeutung! Sie scheinen mir die einzige Sicherheit zu bieten, direkt an bisexuelle Frauen zu geraten. Und das ist nun mal eine Möglichkeit, die ich sehr schätze und mir mein erstes Bi-Date bescherte. Ich fühle mich durch die letzten 20 Jahre Erfahrungen gebeutelt und kann mir nun so viel ersparen.

Als Bisexuelle bin ich den lesbischen Frauen nicht lesbisch genug gewesen. Das verursachte so manches Herzeleid und große Verunsicherung.

Für hetero Frauen war ich ein Experiment, eine Exotin. Für ihre Männer ein Dorn im Auge.

Bei Dreiern mit einer weiteren Frau wurde sich auf den Mann konzentriert. Ließ ich mein Begehren nach der weiblichen Komponente erkennen, musste ich mir schon anhören, ob ich noch nicht genug hätte.

Ein befreundetes Paar fragte mich an, ob ich mit ihnen intim werden wolle, vor allem deshalb, weil sie das Bedürfnis nach einer Frau habe. Nach dem ersten Kuss war es vorbei. Der Mann konnte es nicht mit ansehen. Die Leidenschaft, die dabei aufkam, verunsicherte ihn zutiefst.

Als ich meinen Sohn bekam, verliebte ich mich unsterblich in eine andere werdende Mutter. Nach einer Weile gestand ich es ihr unter nervösen Qualen. „Danke! Das ist aber lieb! Ein schönes Kompliment! Ja hab ich dir schon erzählt, dass Benni und ich nach Bayern ziehen?“

Vor Jahren beschenkte mich eine Bekannte mit ihrem intensiven Interesse. Sie flirtete auch mit mir, wenn ich mit meinem Sohn zugegen war und gab mir das Gefühl, genau so begehrt zu sein. Ich war glücklich und trotz vieler Wunden, ließ ich mich mutig ein. Meine Bekannte hatte gleichzeitig eine Beziehung mit einem Freund begonnen, die tendenziell offen für Polyamorie sein sollte. In der Folge besprachen wir das Thema auf etlichen Spaziergängen gemeinsam, ohne dass mehr als ein Kuss und schöne Zugeständnisse vorausgegangen waren. Viel Arbeit also, einlassen, mutig sein. Nach zwei Wochen: “Ich dachte, weil sie Familie hat, kann sie das nicht ernst meinen, aber das tut sie. Ich kann das nicht, entweder ich oder sie!“ So seine Worte. Und ihr war ich eine Entscheidung gar nicht wert, die Sache war klar wie Kloßbrühe, gekocht von Eva Herrmann.

Ich beneide all die Menschen, die schöne und erfüllende Erfahrungen und Beziehungen mit zwei Geschlechtern leben konnten/können! Ich weiß, dass es sie gibt! Das tröstet mich. Ich möchte das bloß auch.

Und ich möchte glauben, dass ich ein Alien bin, das Einzige dem es so geht. Doch auf dem Treffen im Café, stieß ich auf die Realität von Anderen, die mir Ähnliches erzählten. Von der Sichtbarkeit und der Akzeptanz gegenüber Schwulen, Lesben und trans* Personen bekämen die Bisexuellen nichts ab, so unser O-Ton. Gleichzeitig wächst die queere Community ungemein.

Was ist mit non-binären, asexuellen, genderfluiden Menschen?

Sie sind alle eine Minderheit. Wir müssen uns alle damit auseinandersetzen, dass wir nicht zur gesellschaftlichen Norm gehören. Darüber reden hilft. Das Selbstbewusstsein zu entwickeln, auszusprechen was einen bewegt.

Einen Kampf für Wahrnehmung zu führen, ist eine Sache. Jeder kann sich entscheiden, ob oder wieviel Energie er dort hineingibt. Egal ob er sich mit 3 Unbekannten an einen Tisch traut, in der Lieblingsbar endlich die Bedienung anspricht oder wie Twenty4Tim 190.000 Euro in die Hand nimmt, um sein Motto per Hochglanz- Videoclip unter die Charts zu mischen: “Ich repräsentiere den modernen Jungen, der auf Klischees einen Scheiß gibt!”.

Sich gegen Diskriminierung wehren zu müssen, das ist eine andere Sache. Sie macht die Belastung aus. Sie macht alleine. Sie macht unglücklich. Sie verursacht Schäden und Verletzungen. Viele haben dadurch nicht die Kraft für sich einzustehen. Vielmehr müssen sie um ihr menschliches Dasein als non- Hetero an sich kämpfen, als sich um den “Luxus” kümmern zu können, im queer- freundlichen Nachtleben urbaner Nischen in deutschen Großstädten als bisexuell ernst genommen zu werden.

Letzten Endes bleibt mir die Frage nach einem gelungenen Abschluss. Mir will nichts einfallen Leute! Aber ich fühle! Ne Fülle in meinem Herzen! Weil mir klar geworden ist, dass ich nicht alleine alleine bin und wie gut ich es dennoch habe. Ich gehöre zu den Menschen die frei reden können, frei daten können und frei lieben können ohne angefeindet zu werden. Wie es in meinem Leben dazu kommt, hängt zwar bei weitem nicht nur von mir ab, doch es gibt diese Momente die sich mir manchmal vor die Füße werfen, nach denen ich nur greifen müsste! In diesen Augenblicken liegt Alles an mir. Mich wieder aufzurichten, durchzuatmen und drauf zu zugehen! Was auch immer es bedeuten mag…: das nächste Outing, ein Flirt, um ein Date fragen, Bisexualität im Freundeskreis/ in der Familie/ auf der Arbeitsstelle zum Thema machen.

Mut für uns Alle!

Da ist es doch, das Schlusswort.