Das Ding mit den Haaren überall…

Was mir Dr. Sommer nicht erzählt hat…

Eine Kolumne von Jona Wildwux

Der aufgekommene Trend sich als Frau nicht mehr zu rasieren, hat bei mir als dunkel und „a bissele“ stärker behaarte Frau eine Hüpfburg- Party im Herzen ausgelöst. Wenig später bekam sie einen Riss und verlor an Haltung. Nett anzuschauen war sie trotzdem noch. Was ist da bei mir passiert?

Meine Mama ist italienischer Herkunft. In einem Teil der Familie ist eine deutliche Veranlagung zu stärkerem Bewuchs auszumachen. Das Testosteron wollte sich wohl ein bisschen bei uns austoben und uns daran erinnern, woher wir kommen… aus einer Zeit als wir Menschen nur mit unserem Fellkostüm überlebensfähig waren. Schon am Ende der Grundschule fiel mir auf, dass ich die Einzige in der Klasse war, bei der süße dunkle Armhaare sichtbar waren. Ab der Realschule wurde diese Tatsache langsam zu einem Merkmal, das mich anders machte. In der achten Klasse begannen sich die Mädels zuerst die Achseln und Beinhaare zu rasieren und sich die Augenbrauen zu zupfen. Dann folgte die Entfernung des Oberlippenflaumes und es begann die Erkundung aller anderen Zonen. Für die am Schwimmunterricht Teilnehmenden und die schon sexuell Aktiven der Klasse wurde der Intimbereich Thema. Kurz darauf fiel auch der Steg zwischen Nabel und Vulvahügel den babypinken Rasierern mit Pfirsichschaum zum Opfer. Weiter ging es dann mit den Zehen, den Fingern und schließlich den Unterarmen.

Auch Ganzkörperrasuren wurden von Einigen regelmäßig vorgenommen und die “Vorzüge” analysiert: Haut wie ein Babypopo, Hygiene und Regeneration der Epidermis. Manchmal fasste ich mir ins Gesicht und fuhr mit meinen Fingern über meine Wangen. Ich befand, sie entsprächen dem Vorbild eines Babypopos wesentlich besser, denn der war nicht rasiert und verfügte trotzdem über eine begehrenswert samtige Weichheit.

Ich zupfte mir die Augenbrauen, rasierte meine Beine, die Achseln und die Bikinizone. Irgendwann waren mir meine Härchen auf meinen Fingern peinlich. Als Jugendliche war es eine Leistung auszuhalten, dass alle anderen (überwiegend blonde und braunhaarigen Mädels) so taten als sei das „stehen lassen“ eben dieser genauso schwer nachvollziehbar, wie die Duldung von Blutegeln an der eigenen Wade als alternative Behandlungsmethode. Nun denn, ein paar Jahre rasierte ich mir meine Hände und färbte meinen Steg blond. Meine Arme und der Rest des Körpers blieben jedoch verschont. Ich hatte zu große Angst vor den Prophezeiungen meiner Mutter: „fängst du einmal mit dem Rasieren an, geht der Wucher erst richtig los!“. Das Märchen der erstarkten Behaarung nach Rasuren, trug also dazu bei, meine Arme zu lassen wie sie waren und heute sind.

Mittlerweile fühle ich mich von jedem weiblich gelesenen Menschen bestärkt, wenn ich beim Blick auf seine Unterarme viele und/oder dunkle Haare sehen darf. Und somit kommen wir zu einem Punkt, der mich sehr bewegt. Der „Natur statt Rasur“- Hype in sozialen Netzwerken suggeriert mir eine Leichtigkeit, die ich und viele andere in dieser Thematik nicht unterschreiben können. Denn: seine eigene Körperbehaarung nicht zu stutzen oder zu entfernen, bedeutet nicht für alle das Selbe und kann eine Menge Arbeit mit sich bringen! Mit sich selbst und im Umgang mit dem reaktiven Umfeld.

Seit ca. 2 Jahren sehe ich auf Instagram vermehrt weiblich gelesene Personen in ästhetischer Pose mit nach oben ausgestrecktem Arm. Ein kollektiver Yoga-Move der durch die sozialen Netzwerke rauscht? Eine neue Apfelbaumart die eine Ernte in den eigenen 4 Wänden möglich macht? Ne! Erst wenn ich auf den Hashtag aufmerksam wurde, begriff ich, was gemeint war- „guck mal, meine Achselhaare!“ Ja ich guckte. Ich sah sogar zweimal hin. Hier und da war es mir auch drei Mal wert. Ich wollte wissen, auf was die Personen so stolz waren. In den meisten Fällen war in der Schulterbeuge ein Schatten zu sehen, bei dem ich mich manchmal fragte, ob er nicht nachträglich etwas verdunkelt wurde. Selten sah ich tatsächlich Haare. Und das meist bei denen, die nicht nur einen Hauch von Spitze trugen.

Ich möchte betonen, dass es eine persönliche Errungenschaft jeder weiblich gelesenen und sozialisierten Person ist, sich das Recht auf freie Körpergestaltung zu nehmen. Bewertungslos! Respekt! Egal ob schwach oder stark behaart, wir müssen niemandem gefallen! Doch oft genug ist in uns eine Abhängigkeit von den Meinungen anderer Leute tief verankert und so richtet sich unser Denken unterbewusst danach aus. Die Frage ob wir überhaupt diesem Schönheitsideal entsprechen wollen, stellt sich uns dementsprechend gar nicht. Ich rasiere mich, weil ich weiß, so komme ich zum Großteil besser an, so umgehe ich Blicke, Gespräche oder dumme Sprüche. Nur so komme ich bei der Masse „sexy“ an, nur so gefalle ich in diesem von Normen und Sexismus durchdrungenem System. Mir ist klar: im Iran geht es um weit mehr als Haare! Doch durch die dortigen Aufstände, auf die mit härtester Gewalt und Bedrohung reagiert wird, wird sichtbar, wie tief Behaarung weiblich gelesener Körper mit patriarchalischen Strukturen verwoben ist.

Deshalb ist die Anti- Rasur- Bewegung im Grunde absolut wichtig, wenn nicht notwendig, um Anstöße zum Nachdenken zu geben. Um die eigenen Privilegien in der Diskussion um Körperbehaarung zu begreifen. Um dieses starre Gerüst mit einer Bowlingkugel zum wackeln zu bringen. Doch die Wucht einer Abriss- Birne bekommt das Ganze in meinen Augen erst, wenn eine großflächige und tiefgreifendere Transformation von unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen auf diesem Gebiet bewusst angesteuert wird.

Was ist aber, wenn ich neben meinem Aktivismus feststelle, dass ich meine behaarten Beine selbst nicht schön finde und deshalb nicht den Mut generiere mein Statement sichtbarer zu machen?

Hmpf. Mist. Ich stolpere seit Jahren über mich selbst. Ich mag es meine Augenbrauen zu zupfen. Aber ehrlichgesagt empfinde ich den Rest als lästig! Wirklich gern würde ich mich in der Öffentlichkeit und beim Sex nicht um meine Behaarung scheren! Manchmal verlangen die Rasuren so viel von mir ab, dass ich früher deshalb lieber nicht mit kurzem Beinkleid raus bin, schon gar nicht zum Schwimmen. Heutzutage bin ich soweit, dass ich Stoppeln akzeptiere und zeige und zum Schwimmen einfach eine Short anziehe. Angenehm. Mit meinem Freund habe ich Jemanden, der mir ungefragt sagt, wie egal ihm das ist und er mich nicht nur behaart toleriert, sondern das als normal empfindet. Das tut gut. Deshalb fühle ich mich auch in meiner Beziehung freier damit. Auch das Wissen um Menschen die „drauf stehen“ ist nicht schlecht, doch ein Ding auf Messers Schneide. Mein ehemaliger Tätowierer erzählte mir innerhalb des Kontextes einmal, dass ihm mein Grad an Behaarung noch etwas dünn sei, für ihn dürfe es deutlich mehr sein!

Ein niederschmetterndes Gefühl besetzte mich. Als Fetisch- Material bewertet zu werden war nicht was ich wollte, brauchte oder verdient hatte. Wieder fiel ich unter eine Beurteilung, nur aus anderer Richtung. Die Anerkennung unserer körperlichen Realität und Normalität ist es, die angemessen ist und darunter sollten wir uns nicht zufrieden geben. Allerdings ist es auch, wie schon darauf hingewiesen, unsere persönliche Entscheidung wie wir diese Unzufriedenheit oder gar Verletzungen austragen. Denn wir wurden alle unterschiedlich sozialisiert, werden verschiedenen Schönheitsidealen ausgesetzt und bewegen uns in unterschiedlichen Szenen mit vielfältigen Erwartungen. Manchen verlangt es innerhalb ihrer Rahmenbedingungen zu viel Kraft ab sich selbstbestimmt zu zeigen, sie benötigen ihre Energie für die Alltags- und Lebensbewältigung, müssen Diskriminierung oder Gewalt befürchten oder erleben.

Hier ziehen wir für unsere Anliegen mit Banner auf die Straßen und können danach getrost einen Kaffee trinken gehen, die Welt dreht sich weiter. Höchstens die Nachbarin stellt sich mir als Endgegner beim Heimkommen in den Weg und will wissen, woher ich “um Gottes Willen” die Zeit hernehme um für “ein paar Stoppeln” zu protestieren. Würde ich erstmal in ihr Alter kommen, interessiere sich niemand mehr für “das da unter der Schürze”.

Zurück zu meiner Inkongruenz bezüglich meiner Meinung und meinem Empfinden. Weshalb gefallen mir meine Beine nicht voll behaart? Zuerst einmal- es ist legitim! So wie Alle das Recht haben sich nicht zu rasieren, darf der Wuchs auch abgenommen werden! Er darf gefallen und nicht gefallen! Diese Tatsache verinnerlicht, lässt mich der Drang nach einer tieferen Analyse trotzdem nicht los.

Behaarte Beine stören mich bei anderen nicht. Es fällt mir auf. Manchmal ist spürbar eine Aussage in dem Anblick inbegriffen, der ich dann nachspüre und mein respektvolles Interesse bemerke.

Wenn ich an mir selbst hüftabwärts blicke und Tage und Wochen der Natur ihren Lauf ließ, fühle ich mich männlich. Und unwohl. Denn das fühlt sich nicht stimmig an. Ich finde schade, dass ich meine ungestutzten Beine einem anderen Geschlecht zuschreibe anstatt diese Optik einfach mir zugehörig zu empfinden. Mein ganzes Leben habe ich glatte Beine an von mir weiblich gelesenen Personen vor Augen gehabt und behaarte an den meisten männlich Gelesenen. Die Programmierung sitzt. Jetzt ist es meine Sache hier und da Umschreibungen vorzunehmen. Work in Progress!

Manchmal braucht es Unterstützung und wohlwollenden, kritischen Austausch um sich in dieser Thematik zu bestärken, Mut zu finden sich selbst und das Handeln Anderer zu hinterfragen und mit den psychischen Stolperfallen umzugehen. Deshalb möchte ich euch an dieser Stelle auch die angehefteten Artikel von Leni und Charlie (Coautor*innen) wärmstens an`s Herz legen, die diese Zeilen und dazugehörigen Prozesse untermauern, erweitern und vervollständigen und unbedingt erwähnen, dass ohne die Beiden dieser Artikel nicht wäre, was er ist. Danke!