Erwartungen an Sex

Noch bevor ich das erste Mal Sex hatte, hatte ich einen Haufen an Erwartungen. Da ich meine gesamte Teenager-Zeit mit romantischen Filmen und Büchern verbracht habe, waren diese sehr blumig und unschuldig: zwei (zumeist hetero cis) Menschen küssen sich, ziehen sich gegenseitig aus, er dringt in Missionarsstellung in sie ein – Schnitt – beide lächeln sich nur mit einer Decke bedeckt an. Erst viel später, als ich das erste Mal einen Porno gesehen habe, veränderte sich meine Vorstellung von Sex: er war viel härter, unromantischer und deutlich explizierter, als alles was ich zuvor gesehen habe. Sex wurde für mich zu einem Mysterium, das nicht nur unbekannt sondern auch kompliziert schien.
Als ich in meiner ersten Beziehung war, war ich völlig überfordert von all den Erwartungen an mich selbst und meinen Partner. Ich dachte, ich kenne die Abläufe und wie ich mich zu verhalten habe, welche Geräusche ich machen sollte und wie Sex aussieht. Über die Jahre, in denen ich Sex habe, habe ich vor allem eins gelernt: er ist weder wie in der romantischen Komödie noch wie im Porno – zumindest nicht für mich.
Hier ein Ausschnitt meiner Learnings:

  • Das Gegenüber die ganze Zeit zu küssen ist nicht nur für die Gesichtsmuskulatur und Zunge anstrengend, sondern steht auch anderem im Weg: ich mag es zu fragen, ob er*sie mag, was ich grade tue und möchte gemeinsam über den Vagina-Pups und den rausgerutschten Penis lachen.
  • Pausen beim Sex geben nicht nur neue Kraft, um danach neue Stellungen auszuprobieren, sondern auch die Zeit, einen weich gewordenen Penis oder eine trocken gewordene Vagina wieder zu erigieren. Es lohnt sich meist, sich die Zeit zu nehmen, Dinge auszuprobieren, auch wenn diese mir oder meinem Gegenüber dann doch nicht gefallen, sie uns zu anstrengend oder sogar schmerzhaft sind. So lernen wir unsere Körper besser kennen und finden heraus, was wir wirklich gerne mögen.
  • Sex kann plötzlich unterbrochen oder währenddessen beendet werden, weil unerwartet Verwandte oder Mitbewohnerinnen ins Zimmer stolpern, das Handy klingelt oder einer der Beteiligten keine Lust mehr hat.
  • Verhütung ist sexy und wichtig.
  • Ich sehe nicht aus wie die Darsteller*innen im Film, denn ich trage nicht ständig Dessous, bin zu meiner Zufriedenheit rasiert oder schaffe es auf Anhieb mich oder mein Gegenüber auszuziehen. Im Gegenteil: ich schwitze und friere, ich pupse, ich habe Haare im Mund, habe einen Krampf und muss zur Toilette.
  • Sex ist mehr als Mann und Frau in Missionarsstellung. Sex ist divers in der Partner*innenwahl, ist vaginal, oral oder anal, mit oder ohne Toy, mit oder ohne Orgasmus, laut oder leise, schnell oder langsam, hart oder sanft Sex ist Kommunikation, Berührung, Blickkontakt. Sex ist alles davon oder gar nichts und vor allem ist Sex, was du daraus machst.

All das habe ich zuvor nicht erwartet. All das ist aber das was Sex für mich besonders macht. Ich möchte keinen RomCom- oder Porno-Sex. Ich möchte Konsens und Kommunikation und keine Performance von am Bildschirm kennengelernten Abläufen.