Ich hab die Haare schön.

„Du siehst aus wie so ein Gorilla“ wirft mir mein Bruder an den Kopf, als ich – damals Jugendliche – mich im Bikini in die Sonne lege. Meine Beine habe ich extra rasiert, aber am Bauch und den Armen sind meine Haare deutlich sichtbar.

„Oh da hat wohl jemand vergessen sich zu rasieren“ – schallendes Gelächter. Zwei Mitschülerinnen machen sich einen Spaß aus meiner Achselbehaarung, als ich in der Schule meinen Arm hebe und mich melde.

„Mannsweib“ kommentiert ein Mitschüler auf Facebook unter ein Foto von mir, auf dem meine Behaarung auf den Armen zufälligerweise stark zu sehen ist.

„Es ist ja schon komisch, wenn die Frau mehr Haare an den Beinen hat als der Mann. Rasier‘ dich lieber mal“ riet mir mein damaliger Freund. Im Winter. Niemand außer ihm hat meine unrasierten Beine zu diesem Zeitpunkt gesehen.

Damals hat mich all das verletzt, gleichzeitig wäre ich am liebsten vor Scham im Boden versunken oder hätte zu weinen angefangen. Aber ich habe es überspielt, mitgelacht, den Leuten recht gegeben. Und mich dann daran gemacht die Haare so gut und gründlich wie möglich zu entfernen. Anfangs mit Nassrasierern – hier übrigens ein herzliches Shout Out an meine Mama, die mir am Anfang meiner Rasur-Karriere ans Herz gelegt hat, mich doch bitte nicht überall zu rasieren, solange ich noch jung bin – dann mal mit Heißwachs, mit Kaltwachsstreifen, mit der Pinzette, mit dem Epilierer, mit Enthaarungscreme, mit einem Trockenrasierer, mit Sugaring-Paste. Aber nichts hat mich so richtig zufrieden gestellt.

Entweder sind die Haare gleich wieder nachgewachsen, oder es hat weh getan, oder viel Geld gekostet, oder lange gedauert. Oder eine Mischung aus Allem. Ich war genervt. Andauernd wuchsen Haare nach – und dann auch noch an Stellen, an denen „normale“ Frauen keine Behaarung haben: an den Nippeln, am Po, am Bauch, an der Oberlippe, auf den Zehen, am Handrücken. Weg, einfach nur weg sollten sie alle. Am besten für immer. Manchmal war ich richtig verzweifelt. Ich freute mich immer auf den Winter, da konnte ich alle Haare wachsen lassen und keiner konnte sie sehen.

Heute ist das ganz anders. Heute verletzen mich solche Kommentare nicht mehr oder kaum noch und ich schäme mich nicht mehr für meine Behaarung. Ich weiß auch mittlerweile, dass es „normal“ ist, als Frau überall am Körper Haare zu haben. Wobei „normal“ ein blödes Wort ist. Es gibt keine normale Behaarung: Manche Leute haben so helle und dünne Haare auf ihrem Körper, dass sie fast unsichtbar sind, andere haben eine dunkle Ganzkörper-Lockenpracht, wieder andere eine bunte Mischung aus beidem. Das, was wir als „normal“ betrachten, ist das kleine Fenster, das uns in der Werbung gezeigt wird: Männer mit lückenfreien Dreitagesbärten und leichter Brustbehaarung neben aalglatten Frauen, deren einzige sichtbaren Haare auf dem Kopf wachsen. Natürlich gibt es Menschen, die genauso aussehen. Aber noch viel mehr sehen ganz und gar nicht so aus und das ist auch gut so, denn Vielfalt ist wunderbar!

Sicherlich können sich aber auch nicht alle Menschen mit ihrer Behaarung anfreunden und das müssen sie ja auch nicht. Ich bin mir aber auch sicher, dass es Viele gar nicht erst versuchen. Ich habe das auch lange nicht gemacht und es hat unzählige Haar-Entfernungs-Sessions gebraucht, bis ich (nachdem ich fast eine Stunde damit verbracht habe mein rechtes Bein zu epilieren und mein linkes dann noch vor mir hatte) gemerkt habe: ich möchte das nicht mehr – und ich muss das auch nicht! Der daran anschließende Gedanke war sofort: Aber was sagen die anderen Leute dazu? Mittlerweile ist das ein dreiviertel Jahr und einen langen, heißen Sommer her und ich habe gelernt: Es ist ganz egal, was andere Leute darüber denken. Ich genieße sogar manchmal entsetzte, verwunderte, irritierte Blicke auf meine unrasierten Beine in kurzer Hose und kann darüber lachen. Manchmal habe ich sogar die Hoffnung, dass die Menschen nicht bei dem Entsetzen, der Verwunderung oder der Irritation aufhören, sondern weiterdenken und begreifen, dass das, was sie da sehen natürlich ist – „normal“ ist. Genauso „normal“ wie das, was die Werbung ihnen zeigt.

Ich kann auch rückblickend nicht mehr sauer auf die Kommentare von Anderen sein, sondern ich bin sauer auf die Werbung und die Schönheitsindustrie. Diesen beiden haben wir es immerhin zu verdanken, dass wir so verquere Körperbilder – und Körperbehaarungsbilder – in unseren Köpfen haben. Und natürlich fällt es dann sofort auf, wenn jemand diesen nicht „folgt“ oder zu ihnen „passt“ und was auffällt wird kommentiert – das ist ja nichts Neues. Was neu ist, ist der Umschwung, der gerade stattfindet oder zumindest so langsam ins Rollen kommt: Beispielsweise initiierte 2018 eine Theaterstudentin den #januhairy und damit den Aufruf, sich im Januar nicht zu rasieren – um sich mit der eigenen Behaarung bewusst auseinanderzusetzen, zu überlegen wie die eigene Meinung dazu wirklich ist, um zu erkennen und reflektieren, welche sozialen Standards es hier gibt, um diese auch kritisch zu hinterfragen und um sich vielleicht sogar mit dem Körperhaar anzufreunden. Dazu kommen unzählige Beiträge auf Social Media zum Thema Nicht-Standard-Körperbehaarung sowie eine immer größere Anzahl von Menschen, die sich trauen ihre Körper so zu zeigen wie sie sind und wie sie sich am schönsten finden – egal, wie es Andere sehen. Ich kann jede:n wirklich nur ermutigen sich – sei es im #januhairy oder wann anders – mit dem eigenen Körperbild und der Körperbehaarung zu beschäftigen. Mit der eigenen und mit der, die die Werbung uns zeigt. Und dann auch mal die eigene Einstellung dazu zu überdenken, zu hinterfragen und möglicherweise wegzukommen von einer Ansicht, die geprägt ist von völlig unrealistischen Idealen aus der Werbung oder anderen (sozialen) Medien. Körperbehaarung ist nicht schlimm, sie ist vor allem nicht eklig (und schützt im Genitalbereich nachweislich vor dem Eindringen von Keimen, Bakterien und Viren – also zum Beispiel auch vor sexuell übertragbaren Krankheiten!) und am allerwichtigsten: sie ist normal. Wie jede und jeder am Ende damit umgeht, darf selbst entschieden werden: Haare weg, Haare da lassen, Haare alle 47 Tage entfernen, Haare nur zu bestimmten Anlässen entfernen – macht das, wie es euch am besten gefällt. Aber trefft die Entscheidung bewusst! Vielleicht können wir den nächsten #januhairy (oder gerne auch einen davon unabhängigen x-beliebigen Zeitpunkt) alle mal dazu nutzen, um unsere Einstellung zu Körperbehaarung von medial eingetrichterten Bildern und Ideen loszulösen und eigenständig auszurichten. Ich kann es euch nur empfehlen!