Konsens in Pornos – Interview mit Porno Regisseurin Ragna Spargel

Ragna Spargel hat vor einiger Zeit bei einem feministischen Porno Regie geführt und dazu haben wir sie ausgequetscht. Lest rein, wenn ihr wissen wollt, welche Rolle Konsens vor und hinter der Kamera bei einer Pornoproduktion spielt!

Liebe Ragna, könntest du dich kurz vorstellen und erzählen, was du machst?

Ragna: Ich bin Ragna Spargel, ich bin 30 Jahre alt und ausgebildete Sexualpädagogin und Soziologin. Ich studiere momentan soziale Arbeit und arbeite nebenbei an unterschiedlichen Projekten im Bereich Sexualpädagogik. Meine Lieblingsthemen dabei sind Pornografie, Medienkompetenz vor allem im Bezug auf Jugendliche, aber auch für Erwachsene. Selbstbestimmte Lust, finde ich, ist auch ein fantastisches Thema und momentan arbeite ich an einer kleinen Selbstständigkeit in Richtung Mutterschaft, Sexualität und Lust. Das Mama-Dasein ist nämlich eine ganz verrückte gesellschaftliche Rolle, der sehr viel Sexualität abgesprochen wird und wo es ganz viele Tabu-Themen gibt.

Wie bist du denn dazu gekommen, einen Porno zu produzieren – beziehungsweise Regie zu führen – der das Thema Konsens in den Fokus rückt?

Ragna: Während meiner sexualpädagogischen Ausbildung waren Medienkompetenz bei Jugendlichen und Kindern sowie Pornografie immer wieder Thema. Hier wurde eigentlich eher der präventive Aspekt beleuchtet, weil Pornografie mittlerweile so in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, dass Kinder und Jugendliche sehr frühen Erstkontakt damit haben – mit acht, neun Jahren im Durchschnitt. Pornografie schafft oft überhaupt erst Zugang zum Thema Sexualität und greift eventuell sogar dem Sexualkunde-Unterricht in der Grundschule oder der Aufklärungsdiskussion mit den Eltern voraus. Da kamen im Rahmen des Studiums Fragen auf: Wie muss man das begleiten? Was sind die Gefahren dabei? Gleichzeitig habe ich mir gedacht: Was für Chancen hat Pornografie auch? Wie kann man das Thema positiv besetzen? Das läuft dann natürlich nicht im Kontext von Kinder- und Jugendbildung, weil Pornografie ein Produkt für Erwachsene ist, selbst wenn Kinder und Jugendliche es auch schon konsumieren. Auch ein Porno, den ich produziere, ist natürlich nicht für unter 18, das fällt unter den Jugendschutz. Trotzdem ist es, glaube ich, wichtig, dass man die Pornolandschaft weitflächig und langfristig verändert, statt das Produkt in dieser zwielichtigen Ecke zu lassen. Wir wissen alle, dass wir es konsumieren – der Großteil der Gesellschaft auf jeden Fall – aber alle wissen auch, dass die Produktionsbedingungen nicht besonders cool sind, dass die Themen, die dort vermittelt werden, nicht besonders cool sind, dass da ganz viele Dinge falsch laufen. Und trotzdem lassen wir es dort, statt es intrinsisch zu verändern. Und dann musste ich eh dieses Abschlussprojekt machen und dachte mir: Wie wär´s, wenn ich mich einfach mal daran ausprobiere, ein partizipativen, konsens-basierten und sexualpädagogisch begleiteten Porno zu produzieren? Das habe ich dann gemacht.


Ist dieser Porno aus deiner persönlichen Lustvorstellung geboren oder gehst du bezüglich des Plots mehr auf die Bedürfnisse anderer ein?

Ragna: Tatsächlich hatte ich mit den Inhalten gar nicht so viel zu tun. Es war so ausgelegt, dass unsere Darsteller*innen das Skript selbst schreiben und alles auf Basis ihrer eigenen Fantasien und Wünsche dargestellt wird. Das war meine Prämisse. Meine Fantasien wurden also gar nicht bedient, die spielten da überhaupt gar keine Rolle. Deswegen haben wir dem Dreh auch einen mehrtägigen Workshop vorausgestellt, den ich konzipiert und sexualpädagogisch begleitet habe. So konnten sie sich überlegen, was sie darstellen möchten – denn auch, wenn man privat selbstbewusst aufgestellt ist, sind das bei einem Dreh ganz andere Umstände. Mir war wichtig, dass die Grenzen im Voraus klar kommuniziert werden. Am Ende des Workshops stand dann ein lockeres Drehbuch. Bei einem Porno in einer Mainstream-Branche ist das Drehbuch klar vorgegeben; Ich halte es allerdings für sinnvoll, Spielraum für Spontanität und Entwicklung zu haben, die in dem Moment entstehen: So ist Sex eben.

Und damit wären wir auch schon beim Thema: Konsens. Wie stellt man den vor der Kamera dar, verbal oder bildsprachlich? Kann man Konsens überhaupt nonverbal darstellen?

Ragna: Tatsächlich wurde relativ wenig geredet. Wir haben im Vorfeld darüber gesprochen, ob wir das als Stilmittel oder als Methode verwenden, dass wir für die Zuschauer*innen sichtbar verbalisieren, was ja eigentlich sehr wichtig ist. Die beiden haben sich aber dagegen entschieden, was im Nachgang von einigen Menschen kritisch gesehen wurde – was ich auch verstehen kann. Neben perspektivischen Überlegungen mit dem Kamerateam haben wir versucht, Konsens nonverbal darzustellen, indem unsere Hauptdarstellerin häufig den Ton angegeben hat, durch Gesten, Berührung, zum Beispiel durch das Leiten der Hand des Darstellers. Durch nonverbale Gesten: Das möchte ich, das gefällt mir, das finde ich gut – wie das ja beim Sex im Privaten auch oft abläuft. Und trotzdem wäre es wichtig, generell mehr verbal zu thematisieren, was man für Bedürfnisse und Vorlieben hat. Ich denke, man sollte sowohl in der Industrie als auch privat daran arbeiten, dass ausgesprochener Konsens beim Sex Platz findet, ohne dass es für alle ein Cringe-Gefühl ist. Man hat vielleicht das Gefühl, das würde den Flow unterbrechen, dabei läuft Sex ja grundsätzlich eigentlich selten ohne Kommunikation währenddessen ab. Diese Realität sollte in der Pornografie auch Einzug halten.


In deinem Porno gibt es eine Szene, in dem die Darstellerin dem Darsteller einen Gürtel überreicht hat, um ihren Konsens auszudrücken.

Ragna: Genau, stimmt, das ist die nonverbale Kommunikation, die ich meine. Sie drückt damit aus: Hey, du darfst mich jetzt mit dem Gürtel an diesen Balken fesseln. Sicherlich war das einigen Menschen noch nicht genug, aber man kann auch nicht immer allen gerecht werden.

Du hast den Porno vor Publikum vorgestellt, mit anschließender Diskussionsrunde. Kam dabei Input oder Kritik zum Thema Konsens? Würdest du jetzt etwas anders machen?

Ragna: Ja, auf jeden Fall. Ein paar Leute haben eben genau das gesagt, dass sie sich mehr verbalen Ausdruck von Konsens gewünscht hätten. Ein anderes Kritik-Thema war Diversität, weil zwei weiße und prinzipiell normschöne heterosexuelle Menschen Sex miteinander hatten. Das ist auch eine total wichtige Kritik. Dazu habe ich aber damals schon gesagt: Das war ein Pilotprojekt, das aus dem privaten Umfeld entstanden ist. Nach meinem Aufruf Menschen zu finden, die sowohl Lust hatten, als auch zu meiner feministischen Ästhetik passten, das war eine ziemliche Gratwanderung. Viele Männer haben mich kontaktiert, sie hätten einen großen Penis und würden gerne mitmachen, was natürlich nicht meinen Kriterien entspricht. Die Auswahl war letzten Endes einfach beschränkt – dadurch sind es dann zwei weiße normschöne, cisgender und heterosexuelle Menschen geworden – wobei das nicht stimmt, die Darstellerin ist bi, aber das stellt sich natürlich nicht dar. Diversität ist in jedem Fall ein Thema, auf das ich auf lange Sicht auf vielerlei Ebenen mehr achten möchte. Zum Thema Konsens wurde außerdem kritisiert, dass unsere Darstellerin zwar von ihrem Wesen her dominant ist, aber im Porno eine submissive Rolle hat. Viele Menschen fanden es schwer, diese an BDSM angelehnten Szenen mit dem Thema Konsens zu vereinbaren. Dieser Fetisch wird aus der links-feministischen Szene von einigen Menschen sehr skeptisch betrachtet. Das Thema wird stark intellektualisiert und es wird gefragt, wie es denn überhaupt dazu kommen konnte, dass diese Frau das Bedürfnis hat, submissive zu sein. “Das sind doch intrinsische patriarchale Strukturen, dass sie in dieser Rolle ist!”. Ich halte das für einen wahnsinnig toxischen Umgang mit dem Thema Fetisch und Kinks. Wenn hier immer wieder hinterfragt wird, ob das denn jetzt wirklich selbstbestimmt ist, dass diese Frau Empowerment dadurch erfährt, indem sie geschlagen oder angespuckt wird, obwohl es einfach ihr Fetisch ist und sie ihn selbstbewusst auslebt. Ich sehe aber ein, dass es schwer ist, das darzustellen. Hier wurden im Nachhinein sehr hohe Ansprüche gestellt an dieses doch sehr selbstgemachte Pilotprojekt. Das sind jedoch alles Dinge, die man in Zukunft, wenn man das mit einem Kollektiv weiterspinnen würde, sicherlich mit mehr Tiefgang behandeln kann.

Wodurch hast du dich denn noch so inspiriert gefühlt? Gibt es bestimmte feministische Pornos, die du als Inspirationsquelle verwendet hast?

Ragna: Wenn man sich die Pornobranche anguckt, gibt es prozentual gesehen noch einen relativ kleinen Anteil von feministischer Pornografie, aber es gibt auf jeden Fall Leute, die solide feministische Pornos produzieren. Ich glaube mein erster Kontakt damit war – wie bei vielen anderen Menschen auch – über Erika Lust, die filmisch richtig gut ist. Das sind cinematografisch gesehen richtige Meisterwerke die sie produziert, aber leider fällt sie auch immer wieder unter die Kritik von Konsens. Sie hat in den letzten Jahren auch ganz schön viel Gegenwind gekriegt, weil im Nachgang Darsteller*innen gesagt haben, dass das am Set dann eben doch nicht so konsensorientiert abläuft. Es wird auch dadurch über Grenzen gegangen, dass öfter mal Fans von ihr mitspielen, also Privatpersonen. Da kommt es auch immer mal wieder vor, dass die dieses ganze Setting gar nicht gewohnt sind, oder dass sie einfach noch nie Sex vor der Kamera hatten. Was ich abgesehen von Erika Lust empfehle, sind die Four Chambers Produktionen, die aus England kommen. Da wird immer monatlich was hochgeladen, und die Produktionen finde ich sehr spannend und inspirierend.

Du hast vorhin schon davon erzählt, wie das Thema Konsens zwischen den Darsteller*innen deines Pornos umgesetzt wurde, wie sah das denn generell an deinem Set aus?

Ragna: Ich habe vorher auch schon mit den Darsteller*innen sehr lange Gespräche geführt, telefonisch und auch persönlich. Der Workshop ging dann zwei oder drei Tage und im Anschluss kam der Drehtag. Im Prinzip ist der Film relativ kurz, es sind 20 oder 25 Minuten (was ja auch schon ein längerer Porno ist). Der Drehtag hat aber mehrere Stunden gedauert, damit wir viele Pausen machen konnten – mir war wichtig, uns viel Zeit zu nehmen. Es gab auch Momente, in denen die Darsteller*innen diese eingefordert haben. Es wurde also nicht die ganze Zeit durchgevögelt, sondern auch viel darüber geredet. Für genau diesen Austausch zwischen Darsteller*innen, Filmer*innen, der Tonfrau und dem Licht waren diese Pausen da, wenn es zu anstrengend wurde, haben wir mal wieder eine Zigarette geraucht, Sekt getrunken, Pizza gegessen, und sind an die frische Luft gegangen, um eben nicht diesen Performance-Druck zu haben. So war auch genug Zeit da, zu äußern, wenn man etwas anders machen wollte.

Wie hat diese Erfahrung dein eigenes Sexualleben verändert?

Ragna: Ich war davor schon sehr offen, was das Thema Sexualität angeht. Aber ich glaube, dass ich durch das Projekt einfach nochmal mehr Offenheit und Gelassenheit diesbezüglich erlangt habe, und das einfach sehr selbstverständlich thematisiere. Da habe ich keine wirklichen Hemmschwellen mehr, auch egal mit wem ich spreche. Ich habe mit meiner Oma drüber geredet, oder auch mit meinen Eltern. Ich kann jetzt generationenübergreifend einfach sehr offen über Sexualität und auch Pornographie reden.