Offene Beziehung

Was mir Dr. Sommer nicht erzählt hat…

Eine Kolumne von Jona Wildwux

Letztens auf einer Wiese…, wir lernten uns gerade kennen…, ein schöner Austausch,… auch darüber, in welcher Form wir in einer Partnerschaft leben. Offene Beziehung. Bis dahin soweit so gut. „Und wie läuft´s?“ …- „Gut!“. „Cool!, bei mir auch!“. Dickes Grinsen auf unsrer beider Gesichter! „Wie schön das mal zu hören!”. Ja! Denn wirklich, das bekomme ich nicht oft gesagt und ich konnte es bis zum Beginn meiner jetzigen Partnerschaft, 15 Jahre nicht mehr von mir geben.  

Vor über zwanzig Jahren, mit 15, hatte ich mein erstes Mal. Damals war das für uns eine Schandtat. Meine Eltern waren noch Mitglieder einer Sekte, sowie die Eltern einer meiner Mitschülerinnen. Sie erzählte es an sie weiter. Resultat: Ich wurde in der Gemeinde in einen Raum eingeschlossen, anwesend meine Mutter und Vater, meine Mitschülerin und ihre Eltern. Ich wurde von ihrer Mutter unter Druck gesetzt zuzugeben, dass ich vor-ehelichen Geschlechtsverkehr hatte. Ich fiel in Starre und blieb stumm.  

Meine erste Beziehung endete mit einem „Betrug“, ein One-Night-Stand auf dem Landschulheim. 

Alle waren sauer auf mich. Nicht weil mein „Vergehen“ klassen- intern war (nein, ich hatte einen Schweizer im Dorf kennengelernt). Sondern weil alle verurteilten, dass ich außerhalb der Beziehung die ich eigentlich noch gerade führte (ich war mit meinem Freund schon im Gespräch sie beenden zu wollen), mit einem Anderen Sex hatte. 

Dafür konnten sie nichts, dafür konnte ich nichts, sage ich mir heute. Wir waren alle geprägt vom christlich-bürgerlichen, konservativen Leben, dass unsere Eltern und Großeltern vorlebten und von uns ungefragt, ebenso verlangten. Und ich brach, einem Automatismus gleich und ganz zum Gegensatz meines Elternhauses getreu, mit aller Wucht und Verzweiflung alle möglichen Konventionen. Und tat mir selbst mitunter dabei weh. 

Mein Verhalten zog sich von da an auch durch jede andere Beziehung. Ich ging „fremd“. Und wurde abgestempelt. Trotzdem kam ich immer mit allen gut aus. Mit meinen Exfreunden pflegte ich Freundschaft und mir war bei „Seitensprüngen“ wichtig, dass jeder/jede von mir wusste, dass er sich auf eine „Gebundene“ einließ. Ich war selbst auch nicht knausrig. Gestand mir eine Freundin meinen Freund toll zu finden, gab ich meistens gern ein „Go!“. Nur einmal wurden meine Grenzen von einer damaligen Freundin übertreten und es ergab eine Verletzung. 

Das Konzept “offene Beziehung” kannten wir. Und ich strebte es ab Anfang 20 endlich offenkundig an. Was natürlich schwierig und oft schmerzhaft war, wenn mein Freund selbst davon nichts hielt. Ich verknallte mich oft. So oft, dass ich nach einigen Jahren wusste, was das war. Ein Hurricane, der wieder abflaute und nicht bedeutete, dass ich meinen Partner nicht mehr liebte und die Beziehung beenden wollte. Ich war neugierig, durstig und empfänglich. Irgendwann spürte ich, dass ich nicht mehr „nein“ sagen wollte wenn ich ein sehr schönes Angebot bekam oder mich einfach auf Momente des Lebens mit anderen Menschen einließ. In dieser Zeit führte ich mitunter eine einjährige offene Beziehung, in der ich jedoch erstaunlich wenig Lust auf andere verspürte. Sie war voller intensiver Erfahrungen in einem aktiven Sexleben.  

Über ein Jahrzehnt später, bahnte sich ein harter Umbruch an, das „Aus“ meiner letzten und längsten Partnerschaft. Die Phasen, in denen ich für meinen Ex- Mann monogam lebte (manchmal Jahre), waren ab da vorbei. Ich hatte wieder ein Stück mehr begriffen wer ich war und erlaubte mir meine Stimme.  

Nun lebe ich in einer festen, offenen und auch glücklichen Beziehung, die viel Arbeit für uns beide bedeutet und auf meiner Seite auch Schmerz. Letzteres muss ich erklären. Denn nicht jeder Schmerz entsteht in der Gegenwart. Viele Wunden kommen aus meiner Kindheit und flammen in Beziehungen wieder auf. Triggerpunkte, die mein Freund zielsicher trifft. Das ist für ihn aber ebenso doof wie für mich. Doch der Schmerz bleibt eben auf meiner Seite. Das alles hat aber noch nichts mit der Tatsache zu tun, dass wir auch mit anderen Menschen intim sind und Erfahrungen machen. Es ist nicht der Akt an sich, der uns Probleme bereiten kann, sondern wie wir damit umgehen. Dann tritt eher das Thema Eifersucht und Verlustangst zutage. Zwischen diesen Beiden einen Unterschied zu machen, darauf brachte mich meine Bekannte auf der Wiese. 

Wenn ich Eifersucht spüre, ist sie in erster Linie ein Anzeiger für mich, dass mir was fehlt, in der Beziehung oder generell. Wenn mein Partner ausgerechnet etwas, was ich vermisse, mit einem anderen Menschen erlebt, leide ich darunter und bin neidisch. Abgesehen davon, dass es wichtig ist, gemeinsam zu durchleuchten ob „Geben und Nehmen“ in der Partnerschaft noch ausgewogen ist, darf ich mich auch fragen, wie es gerade um mein Selbstwertgefühl steht und was ich für mich tun kann. Das geht meistens erst, wenn sich die innere und manchmal auch die nach Außen getragene Raserei, gelegt hat. 

Deshalb ist Eifersucht kein Grund für mich meinen Partner einzuschränken. Denn ich kann an mir arbeiten und meine ethische Einstellung lässt nicht zu, jemandem was vorzuschreiben. Ich respektiere zudem grundlegend den Fakt, Gefühle oder Lust auch für und auf Andere haben zu können, ohne dass dies die Liebe und Bindung zum Partner beeinflusst. Mein Freund hingegen sieht es als seine Stärke zu sagen wenn ihm Verbindungen zwischen mir und Anderen unwohl sind. Und direkt darum zu bitten, etwas zu unterlassen. 

In der Verlustangst sehe ich ein Argument, dem ich zugetan bin. Sie kann einen traumatischen Ursprung haben. Ich finde es legitim wenn es vorkommt in solchen emotionalen oder schwachen (Ausnahme-) Zuständen den/die Partner/in um Rücksichtnahme zu bitten (oder diese auch zu erwarten) und zu helfen, die Situation zu bearbeiten. Hier achtet jeder den Raum des anderen.  

Nun ist es ja eine Sache im allernächsten Umfeld von sich zu vermelden, als Mutter eine offene Beziehung zu führen. Doch wenn ich Menschen kennenlerne oder mit wenig gesehenen Familienangehörigen spreche, erzähle ich entweder gar nicht welche Partnerschaftsform ich lebe und welcher sexuellen Orientierung ich angehöre, oder es fühlt sich oft seltsam an, wenn ich es tue.  

Warum, frag ich mich.  

In meiner Generation wird oder wurde noch vermehrt erwartet zu heiraten. Vermählt wird sich natürlich in jüngeren Generationen immer noch. Nun auch Frau/Frau, Mann/Mann (ca. 65.500 Paare, die ab der Gesetzfreigabe 2017, bis Ende 2021 die Ehe eingingen) und auf der Scheidung liegt oftmals kein Stigma mehr. Die Menschen machen sich wohl auch häufiger eigenständige Gedanken darüber, ob die Ehe für sie ein stimmiges Konzept darstellt bzw. prüfen, ob das überhaupt sein muss, um sich als Paar vor der Gesellschaft zu verantworten. Meine Familie empfindet das, oder zumindest das Führen eines gemeinsamen Haushaltes, als Beweis für eine ernstzunehmende, verbindliche Partnerschaft. Geheiratet werden muss nicht mehr unbedingt. Als eine meiner Schwestern auf dem Standesamt mit ihrer Frau unterschrieb, war sie gerade mal die Zweite all meiner Cousins und Cousinen die das tat, bis heute. 

Oliver Schott schreibt in seinem kleinen Taschenbuch „ Lob der offenen Beziehung- über Liebe, Sex, Vernunft und Glück (Bertz&Fischer)“, wie folgt über den “heiligen Bund” bzw. die standesamtliche Trauung: 

„Die Paradoxie der heutigen Ehe liegt also darin, dass sie ihres traditionellen Zwangscharacters entkleidet ist, aber noch immer um einer Sicherheit willen begehrt wird, die sie in Wahrheit nur durch ihren Zwangcharacter garantieren konnte.“… und meint damit auch die Monogamie. 

Wenn ich mich also unwohl fühle offen über meine eigene Beziehungsethik zu sprechen, könnte es wohl daran liegen nicht genug Mumm im Herz zu tragen, meinem Umfeld etwas zuzumuten. Und mir selbst.  

Nämlich den offenen Diskurs über die Frage „woher nehme ich die Sicherheit und Geborgenheit in meiner Beziehung ohne Trauschein, ohne gemeinsamen Haushalt und der Freiheit mich auch mit anderen Menschen einzulassen“? Wie kann sich sonst meine Realität etablieren? Und ein Klima, dass sich so viele wünschen,… dass Partnerschaften in erster Linie Privatsache sind und ohne Wenn und Aber, ohne Hinterfragung, ernst zu nehmen. 

Nun höre ich immer öfter von offenen Ehen. Und sie scheinen gut zu funktionieren. Genauso wie in einer polygamen oder offenen Partnerschaft, ist es auch hier eine intime Entscheidung die die Menschen treffen, um sich mit Sicherheit frei zu lassen.  

Aber weshalb den vermeintlichen Schutz der Monogamie überhaupt auflösen?  

Oliver Schott drückt es so aus: “Partnerschaft soll auf dem freien Willen der Beteiligten beruhen, oder auf der Liebe, die sich in diesem Willen ausdrückt. Die ewige Liebe ist ein Mythos, nicht weil Liebe zwangsläufig oder nur meistens vergänglich wäre. Sie ist ein Mythos, weil Liebe etwas ist, das die Liebenden selbst aufbringen müssen, und nichts Äußerliches, das beständiger sein könnte als die Gefühle und der Wille der Liebenden.“ 

Somit sind wir also aufgerufen ständige Forscher auf unserem eigenen Feld zu sein, um äußere Vorgaben, Traditionen und Institutionen verlassen zu können wenn sie uns in unserer Entfaltung behindern. Und wir dürfen kreativ werden! Wir sind die Schöpfer*innen unsrer eigenen Beziehungswelt! Sie darf sich so gestalten, wie es für uns und unsere*n Partner*in am besten ist. Die Frage „was brauche ich für meine Entwicklung und Entfaltung innerhalb meines Liebeslebens“, bekommt ebenso wie die Frage nach Sicherheit, eine unmessbare Bedeutung. Nach welchen Regeln wollen wir spielen und leben? Was sind meine Grenzen? Worauf kann ich verzichten und wie lange und warum? 

Und ist all dies nicht auch ein Privileg, dass die vorhergegangenen Generationen von Frauen sich erarbeitet haben? Früher waren sie gezwungen eine Ehe zu führen, galten sonst als mittellos und das Überleben war schwer. Heute empfinde ich all die Wahlmöglichkeiten die erkämpft wurden, all die Sichtbarkeitsdebatten die geführt werden, als immer “frei” machender! Und da ist eine große Dankbarkeit über meine Situation, auch wenn sie für mich, wie für Millionen Andere, immer noch nicht akzeptabel ist. Vor Allem nicht gegenüber dem Schmerz aller geschändeten Menschen durch das Patriarchat. 

Kann es also nicht auch Stolz sein, der mir hilft den Mut zu generieren „offen“ über meine „offene Beziehung“ zu sprechen? Jep, ich denke schon! Und sollte „ich mich schämen“ als Mutter ein solches Konzept zu leben? Nein! Denn es gehört zu den schönen Begebenheiten im Leben, einem Kind vorzuleben, was es bedeutet sich in aller Liebe ernst zu nehmen. Ihm zu zeigen, wie weit und tief und verbindend Kommunikation sein kann. Was alles möglich ist. Wie man Vertrauen aufbaut und gestaltet, von Grund auf selbst entwickelt. Ist es nicht mega zu vermitteln: deine Liebesfähigkeit ist nicht gebunden! Du kannst lieben auf deine Weise, nach deinen Bedürfnissen.