ZDF Magazin Royale & maiLab: Warum trans* Menschen diese Bühne brauchen 

TW: Wir sprechen in diesem Beitrag über Trans*feindlichkeit und auch über Gewalt gegen trans* Menschen. 

Wenn Trans*themen auf Plattformen mit großer Reichweite diskutiert werden, sind wir ein bisschen skeptisch und ängstlich: wie aufgeklärt können diese Videos sein, wenn sie viele Menschen abholen sollen? Jan Böhmermann und Dr. Mai Thi Nguyen-Kim haben uns größtenteils positiv überrascht – wir, eine Gruppe aus trans* und cis Menschen aus dem Redaktionsteam, haben gar nicht so viel auszusetzen, wie befürchtet.  Anstatt beide Videos, die zusammen wirklich viele Themen abdecken, im Detail durchzugehen und zu erläutern, welche Formulierungen wir unglücklich und welche besonders treffend finden, wollen wir aufzeigen, warum es wichtig ist, dass es diese Videos gibt, die – Stand jetzt – 590.000 bzw. 1,4 Mio. Mal auf YouTube aufgerufen wurden.   

Weil es alle angeht 

Trans*feindlichkeit steckt in uns allen. Genau wie Rassismus, Homofeindlichkeit und viele weitere Diskriminierungsformen haben wir das Denken im binären Geschlechtersystem aufgenommen, internalisiert und werden es nicht so leicht wieder los. Auch wenn wir nicht bewusst trans*feindlich sind, bestärken wir ständig allein durch unsere nicht-gegenderte Sprache dieses System, das es trans* und (gender-)queeren Menschen so schwer macht, sich zugehörig und sicher zu fühlen. Was da hilft ist – wie so oft – reflektieren und darüber reden. Und das erleichtern diese Videos, denn du kannst sie mit deinen Kumpels, die Böhmermann total lustig finden oder dem Onkel, der auf Familienfeiern plötzlich Biologe ist, teilen und musst, gerade als selbst betroffene Person, diese Aufklärung nicht leisten. Es ist okay, dass alle Menschen aufgrund ihrer Bubbles, Generation und Sozialisation unterschiedliches Vorwissen und unterschiedliche Erfahrungen haben und verschieden hartnäckig an der Vorstellung von zwei Geschlechtern rütteln. Es ist okay, wenn Menschen verwirrt sind, von dem, was sie nicht kennen. Aber es ist nicht okay, das Thema zu ignorieren, zu vergessen was Respekt ist oder Menschen ihre Identität abzusprechen. Von expliziter und bewusster Gewalt mal ganz abgesehen. 

Weil so viel Halbwissen und schlechte „Argumente“ kursieren 

Wer zum Beispiel ganz bewusst trans*feindlich ist, sind TERFs, also trans exclusive radical feminists (radikale „Feminist*innen“, die trans* Menschen ausschließen). Feminist*innen sind sie unserer Meinung nach nicht. Denn Feminismus ist eine solidarische Bewegung – und eine Einstellung, die Menschen ausschließt und diskriminiert, kann nicht feministisch sein. 

Zurück zum Hobby-Biologen auf der Familienfeier: wie Böhmermann kurz und knackig aufzeigt, kursieren in trans*feindlichen Kreisen die immer gleichen „Argumente“. Auch hier: Argumente sind das natürlich nicht, sondern hassschürende Aussagen. Identität kann nicht „wegargumentiert“ werden. Trans*feindlichkeit ist keine Meinung. Viele solcher Aussagen sind biologistisch, d.h. es werden biologische Begriffe und Maßstäbe auf etwas übertragen, das überhaupt nicht biologisch ist. So sagt auch Mai – die übrigens keine Hobby- sondern studierte Naturwissenschaftlerin ist –  in ihrem Video: „Dass ich die Identität meiner Mitmenschen respektiere und sie so anspreche, wie sie angesprochen werden wollen, ist auch keine Frage der Wissenschaft. Es ist einfach nur ein Mindestmaß an zwischenmenschlichem Respekt.“  

Zu der Unterscheidung von biologischem und sozialen Geschlecht, wie sich das historisch entwickelt hat und wie konstruiert beides ist, gibt es noch viel mehr zu sagen als das, was die beiden in ihren 22-minütigen Videos abgedeckt haben. Mit diesem Wissen werden wir euch bald versorgen. Auch die Thematisierung des Arguments der Frauenschutzräume, welches von einer trans*feindlichen Person im Video von Böhmermann genannt wird, ist vielen Menschen zu kurz gekommen. Und obwohl wir denken, dass es nicht viel mehr zu sagen gibt als: „Männer können schon immer in Frauenschutzräume eindringen“, arbeiten wir daran, dieses TERF-Argument nochmal ausführlicher für euch zu widerlegen. 

Aufklärung ist hier einer der wichtigsten Schritte, der gegangen werden muss: Hass ist zu oft lauter als Solidarität, Angst wird bewusst geschürt – wer aber weiß, worum es wirklich geht und Halbwissen zu entlarven weiß, ist dafür weniger empfänglich. 

Weil das Thema viel größer ist, als uns bewusst ist 

Ja, Angst wird bewusst geschürt. Welche Rolle Macht hier spielt und welche Menschen erschreckend gut vernetzt sind, hat uns Böhmermann in seinem Video erneut vor Augen geführt. Antifeminismus und Trans*feindlichkeit bieten eine Brücke zum Zusammenschluss für viele Akteur*innen wie rechte, konservative, religiöse Akteur*innen und Verschwörungstheoretiker*innen. Es geht also nicht „nur“ um Seitenhiebe in der Emma, der Zeitschrift von Alice Schwarzer, oder verwirrte Aussagen von Beatrix von Storch – da fließt international Geld, um TERFs und Nazis zu mobilisieren, die queere Menschen gefährden und damit die Demokratie gleich mit. 

Alok Vaid-Menons Definition von Macht aus dem Buch „Beyond the Binary“ passt hier sehr gut:  

“Power can be defined as the ability to make a particular perspective seem universal. Control is how power maintains itself; anyone who expresses another perspective is punished. Arguments against gender non-conforming people are about maintaining power and control”.  

Auf Deutsch: Macht kann als die Fähigkeit definiert werden, eine bestimmte Perspektive als allgemeingültig erscheinen zu lassen. Kontrolle erhält Macht aufrecht; jede Person, die eine andere Perspektive ausdrückt, wird bestraft. Bei Argumenten gegen Menschen, die gender non-conforming sind, geht es darum, Macht und Kontrolle aufrechtzuerhalten.  

[Gender non-conforming kann als Identität verstanden werden, wird aber häufiger benutzt, um den Geschlechtsausdruck zu beschreiben. Menschen, die gender non-conforming sind, positionieren sich außerhalb von gesellschaftlichen Normen (Definition nach Louie Läugers „Gender-Kram“).] 

Weil trans* Menschen eine der gefährdetsten Gruppen sind 

Diese organisierte Hetze führt zu Gewalt und Tod, sagt Böhmermann. Es ist wichtig, das immer wieder zu betonen: Nicht trans* Menschen sind eine Gefahr, trans* Menschen werden gefährdet.  

Trans* Menschen erleben Diskriminierung durch bestimmte Gesetze, durch ihr Umfeld und sind stärker von Depression und Suizid betroffen, das zeigt das Video vom ZDF Magazin Royale auf. Trans* Menschen erfahren aber auch physische Gewalt und zwar viel. Das ist vielleicht einer der wichtigsten Gründe, warum Trans*feindlichkeit thematisiert werden muss. 

Wir haben ein paar Zahlen für euch, die vollständigen Quellen verlinken wir unten: 

Bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes heißt es: “[…] rund die Hälfte der Befragten gaben an, in diesem Zeitraum [ein Jahr] Gewalt wegen ihres trans* Seins erfahren zu haben. 44 Prozent erlebten mehr als zwei Mal Gewalt.” 

In Berlin zeigt ein sehr neuer Bericht, dass dieses Jahr 456 Straftaten gegen queere Menschen erfasst wurden (nicht nur trans* Menschen, sondern alle queeren Menschen). „Besonders häufig von Gewalt betroffen sind in der Hauptstadt offenbar Personen, die sich als trans identifizieren. Laut einer im Bericht zitierten Befragung haben 66 Prozent der interviewten trans Personen in den vergangenen fünf Jahren Gewalterfahrungen gemacht“, schreibt der Tagesspiegel. 

Das Trans Murder Monitoring der Menschenrechtsorganisation Transgender Europe (TGEU) zählte in den vergangenen zwölf Monaten weltweit 327 Morde an trans*, nicht-binären und gender-nonkonformen Personen. Außerdem wurde festgestellt, dass trans*feindliche Gewalt zunimmt und besonders nicht-weiße trans* Menschen betroffen sind. Zudem waren 95% aller ermordeten Personen im Monitoring trans* Frauen oder trans* feminine Frauen. 

Weil der Kampf gegen das binäre und cisnormative System uns alle befreit 

Diese Gründe sollten reichen. Und es sollte reichen, dass wir das Leben von trans* Menschen besser und sicherer machen können, wenn wir uns Trans*feindlichkeit entgegen stellen, aufklären und uns reflektieren, welchen Ursprung unsere Reaktionen haben. Und trotzdem müssen wir uns vor Augen führen, dass eine Welt, in der das binäre Geschlechtersystem an Bedeutung verloren hat und Menschen mit „jetzt-noch-normabweichendem“ Geschlechtsausdruck nicht mehr komisch beäugt werden, uns allen zugutekäme. Das Patriarchat ist ein System, in dem alle Geschlechter unterdrückt und in bestimmte Rollen gepresst werden, die wenn sie nicht erfüllt werden, durch Gewalt geahndet werden. Der Einsatz gegen Geschlechternormen und binäre Zwänge bedeutet schließlich: eine gewaltärmere, tolerantere und freiere Welt.  

Quellen: 

https://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ueber-diskriminierung/diskriminierungsmerkmale/geschlecht-und-geschlechtsidentitaet/trans/trans-node.html

https://www.tagesspiegel.de/berlin/456-straftaten-in-berlin-gewalt-gegen-queere-menschen-auf-hochststand-8973841.html