Interview: A*romantik

Valentinstag ist immer super, da ist die Schokolade billiger, da profitier ich auch davon.

Selina

Interview von Charlie und Leni mit Selina zur A*romantik Awareness Week

Möchtest du dich einmal vorstellen?

Ich heiße Selina, bin 24, studiere in Freiburg im 3. Semester Gender Studies und bin Teil der Aro und der Ace Community.

Wann und wie hast du gemerkt, dass du aromantisch bist?

Ich hatte nicht einen gewissen Startpunkt: jetzt bin ich aromantisch! Aber wenn ich so an meine jüngeren Jahre denke, hatte ich nie ein Verlangen nach einer Beziehung, nie ein Verlangen nach Romantik oder Partnerschaft. Ich dachte früher, ich hätte Crushes, aber die sind immer ziemlich schnell verflogen. Wenn ich diese kurzen Phasen rausnehme, in denen ich mich auch selbst sehr stark überzeugen wollte, dass ich der heteronormativen Idee von Romantik zugehöre, habe ich eigentlich sehr schnell gemerkt, dass ich sehr glücklich bin mit meinen Freundschaften, allein. Die Bedürfnisse nach der Schwärmerei sind dann auch ziemlich schnell verflogen. In der Grundschule habe ich schon vieles sehr nervig gefunden – man war ja so darauf angewiesen, was die Eltern im Fernsehen anschauen wollten. Ich war immer sehr frustriert, weil, wenn man sich diese Abend-Telenovelas anschaut, gibt es immer eine Beziehung – und ich fand´s so nervig! Warum? Warum müssen Menschen das? Warum braucht es das? Damals hat mir einfach noch das Vokabular gefehlt.

Hast du dann irgendwann davon gehört oder gelesen und dachtest dir: ah, das passt voll?

Ja, das kam aber erst während meines Bachelorstudiums, wo ich mich mehr damit beschäftigt habe. Ich hatte während des Bachelors viele männliche Kumpels und ich habe nicht gecheckt, dass sie potentiell an einer Beziehung interessiert sein könnten. Ich habe mich dann mit diesen Kumpels getroffen, ich dachte, alles wäre normal und als dann so extreme Avancen kamen und ich mich wortwörtlich geduckt habe, dachte ich mir: Zeit zu googlen: Ist das normal? Und Dr. Google hat dann geholfen und da bin ich das erste Mal über die Begriffe A*romantik und A*sexualität gestoßen und dachte mir: Yes, ich bin legitim! Das gibt´s! Davor habe ich nie davon gehört, ich wünschte, das wäre früher passiert.

War´s für dich eine Befreiung das zu lesen? Zu wissen, dass es da ein Label gibt?

Ja, unglaublich. Wie ich von dem Spektrum gelesen habe, dachte ich mir: oh toll! Weil es gibt ja so viele Punkte auf diesem Spektrum, wo sich die Menschen identifizieren können und das tat schon gut. Das bedeutet ja, es müssen sich da mehr Leute gewundert haben, warum sie so fühlen, wie sie fühlen und das war solidarisch, selbst das auf einer Wiki-Eintragsseite zu lesen.

Kannst du kurz erklären, was das Aro Spektrum ist?

Für mich gibt es ganz viele Feinheiten auf diesem Spektrum. Es gibt auf der einen Seite a*romantische Menschen, die wenig bis gar keine romantische Anziehung spüren und dann gibt es ganz viele Untergruppen. Zum Beispiel lithromantische Menschen, die zwar romantische Anziehung spüren, die aber verschwindet, sobald das erwidert wird. Es gibt auch demiromantische Menschen, die nur romantische Gefühle hegen können, wenn sie die Personen gut kennen oder eine innige Freundschaft mit ihnen haben. Da gibt es wichtige Unterschiede – es ist ein Spektrum voller Möglichkeiten.

Wie grenzt du A*romantik und A*sexualität für dich ab?

Ich grenze das schon ganz klar ab, weil Emotionen und Sexualität zwei ganz verschiedene Ebenen sind. Beide sind natürlich ein Spektrum an sich. Es gibt ganz viele Definitionen, aber wenn ich versuche, es so neutral wie möglich zu sagen: A*romantik ist für mich das Spektrum der a*romantischen Gefühle, dass jemand wenig bis keine romantische Anziehung fühlt und A*sexualität, dass jemand wenig bis keine körperliche oder sexuelle Anziehung hat. Ich habe wenig bis kein Verlangen nach keinem von beidem.

Hattes du einen Aro/Ace Outing Moment? Oder hat das für dich nie eine große Rolle gespielt, dass Leute das wissen?

Einen gewissen Outing Moment hatte ich nicht. In meinem jetzigen Freundeskreis fühle ich mich sicherer, das zu sagen. Wenn ich mit meiner Familie rede oder einem sehr konservativen Umfeld bin und die nach Heiratsplänen und Partnerschaft fragen, hab ich mir inzwischen angewöhnt – was auch zu meinem amusement dient – zu sagen: „Nein ich möchte meine Blutlinie mit mir sterben lassen. Das lässt sich leider nicht mit meinen Weltherrschaftsplänen vereinbaren. Ich muss noch Nemo finden, ich kann das nicht alles unter einen Hut bringen.“
Aber ich bin jetzt wesentlich offener mit meinen Freundschaften: wenn das Thema aufkommt, habe ich kein Problem es zu sagen, aber wo ich weiß, da werden wahrscheinlich Diskussionen aufkommen, da lass ich es einfach sein.

Heißt du vermeidest dann auch, dass Menschen doofe Reaktionen haben können oder dass du mit Vorurteilen konfrontiert wirst?

Ja, da hatte ich nämlich Erfahrungen in der Vergangenheit, wo man gemerkt hat, da wird zwar nachgefragt, aber es wird einem nicht zugehört und deshalb möchte ich das jetzt bisschen vermeiden.

Möchtest du mit uns teilen, welche Vorurteile dir so begegnet sind oder welche du auch auf Social Media mitbekommst?

[TW: Erwähnung von sexualisierter Gewalt und aro/ace-feindliche Aussagen]

Da gibt´s einige. Die typischen, die man hört sind – ich reproduziere das hier nur, ich denke das natürlich überhaupt nicht: „Du bist ja eine Jungfrau, kein Wunder, dass du asexuell bist. Was, du findest Sex nicht wichtig, mit dir stimmt doch was nicht. Du hast nur noch nicht den oder die Richtige gefunden! Du wirst schon irgendwann merken, dass es sich auch gut anfühlt. Du willst doch auch nicht immer allein sein. Du weißt ja gar nicht, was dir entgeht. Du nutzt das Label nur, weil du eh niemanden abkriegst. Du bist so prüde.“ Was nichts mit Asexualität zu tun hat!
Was mich auch sehr nervt: Es gibt eine Bezeichnung für Menschen, die aufgrund von schlechten Erfahrungen weniger romantische oder sexuelle Anziehung verspüren, das nennt man acoromantisch bzw. acosexuell. Das ist ein total legitimes Label. Aber einige Leute denken, asexuelle Menschen sind nur asexuell sind, weil sie etwas Schlimmes erlebt haben. Das kann so sein, muss es aber auch nicht! Ich finde diese Gleichstellung überhaupt nicht gut. Mir ist das auch passiert, sogar als ich mit meinem Psychologen darüber geredet habe, meinte der: „Das ist halt grade Trauma. Irgendwann wird sich das wieder gut anfühlen.“ Und das von einer professionellen Person zu hören… Ich habe mich so gefühlt bevor ich in einer Beziehung war, während ich in der Beziehung war, nach dieser Beziehung, als mir das passiert ist – da hat sich nichts verändert. Und dann wird mir gesagt, dass ich nur so fühle wegen diesen Erlebnissen. Da hat man mir wohl nicht zugehört. Ich muss nicht einfach wieder „den Richtigen finden“!

Da wird dir ja nur gesagt, dass du einen Grund brauchst, warum du so fühlst und das ist nicht so!

Ja, auch dass die Priorität darauf gesetzt wird: „Du wirst wieder lernen, dass es sich gut anfühlt. Du wirst darüber wieder hinwegkommen“. Nein, diese Personen müssen zum einen nicht drüber hinwegkommen, wenn sie sich nicht bereit fühlen und das ist nicht die Priorität, in einer Beziehung zu sein. Da bin ich leider nicht die einzige, der das so erging.
Der Gesellschaft würde es allgemein nicht schaden, den Schwerpunkt weniger auf Beziehungen zu setzen, sondern auf gesunde Beziehungen zu setzen, auf Kommunikation, Grenzen und Konsens.

Wie lebt es sich für dich in unserer sehr stark romantisierten Welt. Grade auch, wenn du nicht immer offenbaren möchtest, dass du asexuell bist, Menschen dich aber nach deinem Datingleben fragen? Wie erträgst du den Kitsch um dich rum?

Also früher war es sehr frustrierend, inzwischen bin ich dem sehr neutral gegenüber. Valentinstag ist immer super, da ist die Schokolade billiger, da profitier ich auch davon. Jetzt habe ich natürlich auch viel mehr Ressourcen, ich habe meine Bücher und Medien, ich bin nicht mehr darauf angewiesen, was man mir geben will, sondern ich darf und kann selbst suchen. Es geht mir inzwischen auch viel besser damit als früher.

Es gibt ja das klassische Bild: Du studierst, du verliebst dich, du hast eine Beziehung, du heiratest und hast ein Haus und ein Kind. Jeder Valentinstag und jeder Hochzeitstag wird gefeiert. Dauernd gibt es Blumen – wie wirkt sich das auf dich und dein Zukunftsbild aus?

Früher habe ich es immer sehr nervig gefunden, wenn meine Eltern oder Kindergärtnerin mir gesagt haben: „Irgendwann wirst du heiraten, Selina!“ Nein, warum? Und damals hat es mich schon extrem genervt, dass man diese Abhängigkeit von einer Partnerschaft auf mich projizieren wollte – jetzt weiß ich, warum es für mich so frustrierend war. Ich dachte auch lange, ich kriege Kinder ohne einen Mann. Das kann ich nach wie vor, aber da haben sich meine Wünsche inzwischen auch geändert. Jetzt, wenn ich an meine Zukunft denke, sehe ich mich verwirrt und überfordert auch ohne Beziehung. Ich sehe mich sehr zufrieden mit meinen Freundschaften. Ich weiß nicht, wie die nächsten Jahre ablaufen werden ob ich in einer Beziehung sein werde oder nicht. Ich sehe mich aber auch einfach mit sehr lieben netten Menschen in einer Hexenhütte abseits von einer Stadt Raben trainieren und ein Katzennotfalllager aufbauen. Dieses romantische Bild, das immer in den Medien ist, ist kein Punkt, an dem ich Etappen ablese, die ich in meinem Leben erreichen muss. Das ist für viele in meinem Umfeld so und das ist auch vollkommen okay, aber für mich hat der Liebesbegriff eine ganz andere Bedeutung. Ich finde es sehr vielfältig, es kann mehr als Romantik! Ich liebe meine Freunde, meine Schwester, nur weil´s platonisch ist, ist es nicht weniger intensiv oder wichtig.

Datest du?

Ich date nicht aktiv, ich bin aber schon in Situationen gekommen, wo ich anscheinend gedated habe, ohne es zu checken. Ich date also nicht absichtlich. Ich bin sehr happy mit platonischen Beziehungen.

Was findest du absurder/ witziger/ peinlicher die Rom- oder die Com-Elemente in romantischen Komödien?

Ich finde romantischen Sachen amüsanter. Ich lache auch sehr häufig, weil ich mich frage, ob das tatsächlich so abläuft. Dann schau ich mich unauffällig um und versuche herauszufinden, ob meine Mitmenschen da mitfühlen können. Meistens hoffe ich, dass es nicht so ist, weil in diesen Filmen passieren echt weirde [komische]Sachen. Ich leide mit den Menschen, die das schauspielern müssen.

Hat die Aro Community für dich eine Bedeutung oder ist dir das eher nicht so wichtig?

Ich sag mal so: ich bin in einer zwei-Personen-Community. Eine der coolsten Menschen, die ich kenne, identifiziert sich auch als Teil der Aro Community und ist auch bisher die einzige Person, die ich persönlich kenne. Während es ein richtig cooles Gefühl ist, zu wissen, dass jemand auch so fühlt, bin ich jetzt nicht in einer anderen Community. Ich lese darüber, ich folge einigen Accounts auf Instagram, wo Erfahrungen geteilt werden, hätte jetzt aber auch nicht das Bedürfnis gehabt, da aktiver zu sein.

Zum Abschluss möchte Selina euch dieses Zitat mit auf den Weg geben:

“Give your friendships the magic you would give a romance. Because they’re just as important. Actually, for us, they’re way more important.”

Alice Oseman

Diese Buchempfehlungen hat Selina für euch zum Thema A*romantik/ A*sexualität:

Fiction:

  • Loveless und Radio Silence von Alice Oseman.
  • Let´s talk about Love und If it makes you happy von Claire Kann
  • Stake Sauce: The Secret Ingredient is Love, No. Really. von RoAnna Sylver
  • Gender Queer von Maia Kobabe
  • The Cybernetic Tea Shop von Meredith Katz
  • The Last 8 von Laura Pohl
  • Upside down von N.R. Walker
  • The Perfect Assassin von K.A. Doore
  • Sawkill Girls von Claire Legrand
  • The Sound of Stars von Alechia Dow
  • Daughters of the Forgotten Light von Sean Grigsby

Fiction:

  • Ace: What Asexuality Reveals About Desire, Society, and the Meaning of Sex von Angela Chen
  • The Invisible Orientation: An Introduction to Asexuality von Julia Sondra Decker