Zu weit

Was mir Dr. Sommer nicht erzählt hat…

Eine Kolumne von Jona Wildwux

Nur ein einziges Mal hab ich kurz in die Serie „Jerks“ reingesehen. Da hat mich was total erwischt. Einer der beiden Herren hatte Angst, dass nach der ersten kurz bevorstehenden Geburt seines Kindes, die Mutter, seine Frau, einen „ausgeleierten“ „Kanal“ hätte. Er versuchte sogar den Arzt zu bestechen, im Falle eines Dammrisses nach der Geburt ihren Vulva- Eingang etwas mehr als nötig zuzunähen. Das traf mich wie ein Schlag. Nicht nur die Darstellung, nein auch die Existenz dieser Sorge an sich. Ich hatte eine natürliche Geburt und ich steh auf Dehnung beim Sexspiel. War ich meinem Freund oder Sonstwem zu weit??? 

Wir sprachen darüber und dieser Austausch beruhigte mich sehr. Und auch mit meinen Freundinnen thematisierte ich es. 

Das Resultat: Ich fühle mich angenommen und geliebt. Meinem Partner gefällt meine Neigung und schätzt unter Anderem meine Beckenbodenmuskulatur-Künste. Und es gab eine große Überraschung… Er staunte über meine Sorge und offenbarte mir Seine. Er habe eher den Gedanken gehabt, er könne mich nicht gut ausfüllen. Das konnte ich ihm schnell verneinen! Wir stellten fest, dass wir beide hoch zufrieden sind. Wie schön zu entdecken, dass die Lust des Andern und die Eigene, uns das höchste Gut darstellt. Und wie schön das zu zelebrieren! 

Auch meine Freundinnen haben mir gezeigt, was für wundervolle selbstbewusste Frauen sie sind, indem sie das, was ist, als ihre Realität annehmen und in Liebe und Frieden jeden von der Bettkante stoßen würden, der etwas auszusetzen hat an dieser. Um ehrlich zu bleiben, manche haben sich auch nur gewünscht, es zu können. 

Und wie sieht es mit den Hard- Facts für unsere Weichteile bezüglich dieses Themas aus? Ein Penis der größer als die eigene Vagina ist, kann eine Herausforderung sein, auch für die Bänder, Sehnen und die Muskulatur der Vulva. Der Kanal kann dabei gedehnt werden und auch sehr häufiger Sex (gemeint ist damit mehrmals am Tag) tut dann sein Übriges und reizt zudem die Schleimhäute, bis hin zu Rissen die entstehen können. Dann gilt es eine Pause einzulegen und sich anders zu vergnügen. Eine schädigende Überdehnung, die das Einreißen der Sehnen zur Folge hat, erfolgt jedoch nur über zu tiefe und sehr heftige Stöße, die meist gegen den Willen der Person vom Penisträger ausgeübt werden (Vergewaltigung). Denn ansonsten gilt: was schmerzt, sollte gestoppt werden. Mehr Achtsamkeit oder eine andere Position können da schon helfen. Hat eine Vulva schon ein Kind/Kinder geboren, so ist die Vagina in der Regel für eine Weile etwas geweitet. Doch den Beckenboden (eine starke, schüsselförmige Muskulatur, die den Abschluss der Beckenhöhle darstellt) kann man zuverlässig trainieren. (Beim Pinkeln, Lachen oder einfach zwischendurch anspannen oder sich z. B. beim Yoga besonders mit ihm beschäftigen.) Dieser hat die Sehnen und Bänder, die evtl. im Laufe des Lebens durch die beschriebenen Ereignisse, an Spannkraft nachlassen können, fest im Griff. Doch bei nicht wenigen gebärenden Menschen kann es auch anders kommen. Durch schwaches Bindegewebe, mehrere natürliche, späte und/oder lange Geburten und schwere Kinder kann der Beckenboden abreißen, einreißen oder massiv ausgeleiert werden. Die Folge ist ein Prolaps. Die inneren Organe wie Gebärmutter und Blase werden nicht mehr an Ort und Stelle gehalten. Diese sinken dann tief ins Becken ab und drücken sich durch die Vagina gen Ausgang. Doch auch dies kann manchmal noch mit gezieltem Beckenbodentraining behandelbar sein. Bei schwerem Prolaps hilft nur noch eine Operation. Mit 90.000 pro Jahr, ist dies der häufigste gynäkologische Eingriff in Deutschland. 

Anders sieht es beim Fetisch der vaginalen Dehnung aus. Hier wird der Prolaps mitunter gerne provoziert. Der Beckenboden wird durch extreme Dehnung ausgeweitet, so dass es möglich ist den Gebärmuttermund durch den Kanal abzusenken und nach außen zu stülpen. Da dies jedoch trainiert wird, kann davon ausgegangen werden, dass nicht alle Liebhaber-innen zum medizinischen Fall werden. 

So blicke ich mittlerweile auf diese „Jerk“-Szene anders zurück. Im Endeffekt demütigt sich der Typ in seiner Rolle selbst, indem er seine Fixierung auf die Funktionalität einer Frau, seinen Horizont und seine Armut an Phantasie und Verspieltheit offenbart. Ich frage mich, was andere Menschen aus diesen Szenen mitgenommen haben. Ich wünsche uns Allen Wut zu empfinden. Wut, die uns selbstbewusst macht und unsere eigene innere Stimme finden lässt. Eine Stimme, die gut ausgebildet ist, wenn wir im realen Leben auf Menschen treffen, die den sexuellen Standard-Himmel anstreben, anstatt sich einzulassen und der Lust auf die Spur zu kommen. Der ist es nämlich egal, wie ein Geschlechtsorgan gebaut ist, vorausgesetzt, man resoniert mit dem Menschen vor sich.