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Kinder – empfohlen ab 5 Jahren – lernen den Körper, Themen wie Scham, Konsens, Verliebtsein, Homosexualität, Binarität, Familienkonstellationen, Menstruation und Samenerguss als auch Diversität kennen. Schließlich ist aber auch beim Thema Sex nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen, weshalb auch Themen wie Pornographie angeschnitten werden. Wissen wird pädagogisch wertvoll, leicht zugänglich und einfach erklärt!

Carsten Müller, Sarah Siegel, Emily Claire Völker: Von wegen Bienchen & Blümchen – Aufklärung, Gefühle und Körperwissen für Kinder

First things first: Was haben wir gelesen? 

Diesen Monat haben wir uns zum ersten Mal mit einem Kinderbuch (geeignet ab ca. 4 Jahren) beschäftigt und zwar mit dem Titel “Von wegen Bienchen & Blümchen” von Carsten Müller und Sarah Siegel. Illustriert wurde das Bilderbuch mit Text von Emily Claire Völker. Erschienen ist es 2021 im EMF Verlag und kindgerechte 47 Seiten stark. Vorab noch ein paar kurze Infos zu den Autor:innen: Carsten Müller (1981) ist Sexualtherapeut- und pädagoge, bildet selbst Pädagog:innen, veranstaltet Eltern-Informationsabende zum Thema sexuelle Aufklärung von Kindern und Jugendlichen und wird als Experte in diesen Bereichen auch gern ins Fernsehen eingeladen. Sein bekanntestes Buch mit dem Titel “Sex ist wie Brokkoli, nur anders” fand großen Zuspruch. Sarah Siegel (1974) studierte an der Kunsthochschule für Medien in Köln und arbeitet seit über 10 Jahren als freie Autorin und Journalistin.  

Wenn nicht um Bienchen und Blümchen, worum geht’s dann? 

Seinem Cover folgend dient das großformatige, wunderschön illustrierte Kinderbuch der Aufklärung von Kindern und Jugendlichen zu den Themen Gefühle, Körper und Sexualität.  Was man bei einem viel bebilderten Buch, das mit recht wenig Seiten auskommt, erstmal nicht glauben mag: Es werden unfassbar viele Themenbereiche bearbeitet! Die Kinder (und ihre Eltern) können etwas über ihren Körper lernen (Genitalbereich, aber auch Zustände der (sexuellen) Erregung, Menstruation etc.), Eltern und Kindern wird das Thema Scham als wichtiger Entwicklungsschritt nähergebracht, und auch Doktorspiele werden enttabuisiert – besonders gelungen ist hier eine Seite mit “Regeln” zu den Spielen, die man mit seinem Kind wunderbar besprechen kann. Schön ist, dass es an Diversität in dem Buch nicht gerade mangelt: Groß, klein, alt, jung, verschiedener Hautfarben, mit oder ohne physische Behinderung, alles ist vertreten. Auch wird das dritte Geschlecht thematisiert und so Kindern schon früh ein Kontrast für die starre Vorstellung der Binarität mitgegeben. Auch Themen wie das Verliebtsein (inklusive Enttäuschungen und auch hier sehr inklusiv unter Einbezug bspw. von Homosexualität), verschiedene Familienkonstellationen (nicht nur heteronormative Konstruktionen), Veränderungen in der Pubertät und Geschlechtsreife inkl. Menstruation und Samenerguss werden behandelt. Kindern werden aber auch wichtige Hinweise an die Hand gegeben: Wie gehe ich damit um, wenn ich pornographisches Bildmaterial gesehen habe, dass ich nicht einordnen kann oder verstörend finde? Was mache ich, wenn eine erwachsene Person mich angefasst hat, obwohl ich das nicht wollte? Es werden also auch schwierige Themen nicht ausgespart, was aber einen deutlichen Mehrwert für dieses Buch liefert. Schließlich ist eben auch beim Thema Sex / Sexualität nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen – leider. Aber auch diesen Aspekt nutzen die Autor:innen, um Kindern beizubringen: Sollte es (auch später im Leben) nicht schön sein, was ein anderer Mensch mit mir gerade beim Sex macht, dann sollte ich das sofort ansprechen! So lernen die Kinder also auch das unfassbar wichtige Prinzip des Konsenses kennen und ihnen wird klargemacht, dass Scham und Schuldgefühle bei der Person zu liegen haben, die sich unangemessen nähert, und nicht bei einem (Kind) selbst. Besonders fällt auch der Fokus auf die Gefühle des Kindes und die Befähigung der Kinder, über eben diese zu sprechen, auf. Kinder sind bei den Autor:innen keine hilflosen Mini-Menschen, sondern eigenständige und vollständige Individuen, die genauso ein Anrecht auf Sexualität, Schamgefühle, Verliebtheit und körperliche Selbstbestimmung haben, wie Erwachsene. Dies gilt selbstverständlich auch in der Pubertät, die passend zur für die junge Zielgruppe des Buches angepeilten Altersspanne zuletzt thematisiert wird. Das Buch endet mit einem Appell an die Eltern, die Gefühle und Sexualität des Kindes auch weiter ernst zu nehmen, um ihnen einen tollen Grundstein für eine glückliche und erfüllte Sexualität als Erwachsene zu legen. Zuletzt sei noch angemerkt, dass das Kinderbuch über ein kurzes Stichwortverzeichnis verfügt, damit Eltern die entsprechenden Seiten schnell finden können, sollte ihr Kind mit spezifischen Nachfragen an sie herantreten. Auch die Kinder können hier natürlich niedrigschwellig nachschlagen. 

Wie liest das Buch sich für Kinder – und deren Eltern? 

Das Buch ist in einem sehr klaren, einfachen, kindgerechten Stil verfasst. Weder verschachtelte Sätze, noch Minischrift findet man. Angemerkt sei, dass es auf vielen Seiten einen einzelnen Eltern-Info-Teil gibt, der sich im Schriftbild und in der Farbgebung vom Kinder-Text unterscheidet. Hier werden die Informationen für die Eltern noch einmal erläutert, sodass sie ihren Kindern (bei der gemeinsamen Lektüre) pädagogisch wertvoll vermittelt werden können. Auch finden sich hier Tipps und Ratschläge für die Eltern. Kinder werden geduzt, Erwachsene gesiezt. Das Buch ist niedrigschwellig und für alle Altersklassen und Hintergründe geschrieben, was den ohnehin sehr inklusiven Ton des Buches so auf einer Meta-Ebene unterstreicht. Gegendert wird nicht, wir vermuten aber, dass hier einfach der Niedrigschwelligkeit im Lesefluss für Kinder Vorrang gewährt wurde.  

Ein Kinderzimmer, ein Bücherregal, dieses Buch! 

“Von wegen Bienchen & Blümchen” hat uns insgesamt sehr überzeugt. 

Zugegeben, zum Thema sexualisierte Gewalt hätte es auch ruhig eine ganze Doppelseite sein können, und nicht nur eine Halbseite. Das Thema Verhütung wurde im vorliegenden Werk gänzlich ausgeklammert, auch wenn es einen Hinweis an die Eltern gibt, dass dieses Thema spätestens in der Grundschulzeit angesprochen werden sollte. Uns fehlte das Thema sehr, denn auch hier wünschen Eltern sich allgemeinhin eine Hilfe bei der Aufklärung ihrer Kinder. Leider ist es noch immer traurige Tatsache, dass auch viele Erwachsene nicht gut über etwaige Verhütungsmethoden aufgeklärt sind. Hier hätte das Buch zumindest ein wenig Abhilfe schaffen können. Nennt uns kleine Erbsenzähler:innen, aber wir hätten uns ein paar mehr Abbildungen von mehrgewichtigen Menschen gewünscht, nur hier hat das Buch in Sachen (Diversität der) Körperbilder ein kleines Defizit aufzuweisen. 

Trotz dieser kleineren Kritikpunkte legen wir dieses wundervoll illustrierte und unfassbar nahbare, niedrigschwellige und pädagogisch wertvolle Kinderbuch allen Eltern ans Herz, die sich für ihre Kinder eine freie, selbstbestimmte Sexualität und ein liebevolles Verhältnis zu ihrem eigenen Körper, sowie emotionale Intelligenz wünschen. Das Buch enttabuisiert – und bürdet den Kindern erst gar nicht die Last auf, die wir Erwachsenen so dringend abzuschütteln versuchen – schließlich: Wofür gab es noch gleich WirHabenLust? 😉 

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